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Transitraum Timmelsjoch

Das uralte Dialektwort „Iibergean“ meint das Gehen über die Joche der Ötztaler und Stubaier Alpen. Uralt sind auch manche Pfade, auf denen seit prähistorischer Zeit Jäger und Sammler, Hirten und Bauern, Säumer und Schmuggler den Alpenhauptkamm überquerten. Der bequemste Übergang heute ist die Timmelsjoch-Hochalpenstraße. Unsere Autorinnen erzählen vom alten und neuen Leben im spannenden Grenzgebiet zwischen dem Ötztal und dem Südtiroler Passeiertal.

Die Timmelsjoch-Erfahrung

Wir starten stilvoll. Ernst Lorenzi, Söldens Allrounder der lokalen Eventszene, hat für die Fahrt über das Timmelsjoch seinen Oldtimer gewählt, einen VW-Käfer Baujahr 1973. Es ist nur eine Schätzung, aber sie liegt nah: Öfter als Ernst wird wohl kaum ein Ötztaler den „Timmel“ überquert haben – war er doch fast von Anfang an mit verantwortlich für die Organisation des herausforderndsten Straßenradrennens der Alpen, den Ötztaler Radmarathon. Fest steht: Einen kundigeren Begleiter für die Straße vom Ötztal ins Südtiroler Passeiertal gibt’s nicht.

Unter der blitzblauen Himmelskuppel flammen Anfang Oktober selbst die kargsten Bergflanken am Straßenrand in allen Schattierungen von Rostrot, Ocker und Orange. „Timmelsjoch-Erfahrung“ nennt sich das Architekturprojekt mit sechs Stationen am Straßenrand, die hüben im Ötztal und drüben im Passeiertal Hingucker, Aussichtspunkte und Informationsstellen über die bewegten Geschicke der Passregion sind.

Timmelsjoch Hochalpenstraße

Historische Übergänge

Wenngleich die Timmelsjoch-Hochalpenstraße erst 1968 für den Verkehr freigegeben wurde, waren die Übergänge am Alpenhauptkamm schon in den Jahrhunderten davor hoch frequentiert: Die Menschen dies- und jenseits der Berge waren auf vielerlei Weise eng miteinander verbunden. So gehörten Vent und Rofen in kirchlicher Hinsicht seit dem Hochmittelalter zum Bistum Chur und zur Großpfarre Tschars im Vinschgau, das Gurgler- und das Ventertal ab Winterstall talauswärts richteten sich kirchlich nach der Passeierer Pfarre St. Leonhard.

Ein Relikt ist bis heute der Schaftrieb, der über die Joche vom Schnalstal aus jeden Sommer auf Ötztaler Weidegründe unternommen wird. Die engen kirchlichen, strukturellen und ökonomischen Verbindungen zeigten auch Wirkung im familiären Bereich: Viele Schreibnamen der Familien im hinteren Ötztal stammen nachweislich aus dem südlichen Passeier.

Ötztal Schafübertrieb

Südtiroler Saisonarbeiter

Eine wichtige wirtschaftliche Verbindung stellte bis Mitte des 20. Jahrhunderts die Saisonarbeit der Südtiroler Männer und Frauen im Ötztal dar: Da die steilen Berghänge rund um Gurgl und Vent bis weit hinauf zu den Graten gemäht wurden, wurden „Mahder“ (Heumäher) angeworben, die sich für die Sommerwochen verdingten. Die Passeirer galten als geschickte Bergmäher, Korbflechter und Hersteller von Sensenstielen, Kraxen und „Goaßln“ (Peitschen für die Hirten). Die Frauen fanden meist als Mägde Anstellung.
Timmelsjoch Hochalpenstraße

Das Gestern im Heute

Wir machen Halt bei der Station „Schmuggler“, wo wir erfahren, dass einst unter anderem auch Schmalz vom Ötztal ins Passeiertal geschmuggelt wurde. „In meiner Jugend habe ich hin und wieder Zigaretten nach Südtirol geschmuggelt“, schmunzelt Ernst. Hier und heute, mitten in der Europaregion Euregio Tirol-Südtirol-Trentino, ist man irritiert vom Wort „Schmuggel“. Das Phänomen ist entstanden, als der „Timmel“ und andere Joche nicht länger natürliche Übergangswege für Vieh- und sonstigen Handel zwischen Nord und Süd, sondern bewachtes Gebiet wurden: Nach dem 1. Weltkrieg fiel Südtirol an Italien, die neue Staatsgrenze entlang des Alpenhauptkamms trennte von 1919 an auch das Ötztal vom Passeiertal.

Timmelsjoch Hochalpenstraße

Gravierende Zäsur

Ein historisch eng verbundener Kulturraum war plötzlich zerschnitten. Das brachte den Menschen sowohl Vor- als auch Nachteile; die meisten arrangierten sich jedenfalls schnell: viele Grenzübertritte erfolgten ungesehen. Besonders lukrativ war das Schmuggeln von Vieh. Doch auch andere Güter wurden bald in großen Mengen über die Grenze gebracht. Um das „Schmugglerunwesen“ einzudämmen, wurden zur Bewachung der Grenze Zollwachebeamte stationiert. Die Zollwachhäuser in Obergurgl, Sölden und Vent wurden erst 1939 alle fertiggestellt.

Timmelsjoch Hochalpenstraße

Die Wirren des 2. Weltkriegs

Während des 2. Weltkrieges und vor allem in den Wirren der letzten Kriegswochen 1945 gewann die Grenze als Außengrenze des nationalsozialistischen Deutschen Reichs Bedeutung für Flüchtlinge: Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich einerseits, sowie Flüchtige vor den Alliierten gegen Ende des Krieges andererseits. Das Timmelsjoch und auch die Nachbarjoche waren in den Tagen des Kriegsendes dramatischer Schauplatz mit Endzeitstimmung, als viele Wehrmachtssoldaten über den Alpenhauptkamm schnell nachhause zu gelangen suchten.

Timmelsjoch Hochalpenstraße

Pfade der Südtiroler „Freiheitskämpfer“

In den Nachkriegsjahrzehnten geriet die Grenze rund um den Südtiroler „Freiheitskampf“ erneut in den Fokus. Führende Mitglieder des BAS (Befreiungsausschuss Südtirol) nutzten das Rotmoosjoch, das Ferwalljoch, das Königsjoch, das Timmelsjoch oder die Windachscharte als Übergang zwischen Süd- und Nordtirol, auch um Sprengstoff zu schmuggeln. Zuletzt gelangten Georg Klotz und Luis Amplatz am 29. August 1964 vom Ötztal über das Rotmoosjoch illegal über die Grenze nach Südtirol, wo Luis Amplatz wenige Tage später erschossen wurde.

Timmelsjoch Hochalpenstraße

Europäisch vereint im Heute

Auf dem Timmelsjoch herrscht heitere Atmosphäre. Ein deutscher Seniorenchor auf Ausflug singt hingebungsvoll „In die Berg bin i gern“, wir schlendern zu den Land-Art-Objekten, die Künstler hier hinterlassen haben, schauen rein ins Passmuseum und ins „Transit“-Museum und machen eine kurze Wanderung zu zwei wundervollen kleinen Hochgebirgsseen mit kristallklarem Wasser.

Und dann geht‘s steil in Kehren bergab. Ernst zeigt auf Felswände: „Da bin ich hinaufgeklettert! Als es noch keine Handys gab, mussten wir ja für den Radmarathon selber Funkverbindungen schaffen.“ Mit den Passeiertalern verbindet ihn außer der gemeinsamen Arbeit für das Sportevent auch die Liebe zur Geselligkeit. Unsere Einkehrschwünge legen wir bei Ernsts ziemlich besten Freunden ein, zum Aperitif in der Hubertus Bar in St. Leonhard, zum späten Mittagessen im Gasthof Rabenstein in Moos.

Zurück geht’s rasant, denn für Sölden hat Ernst eine Überraschung in petto. Den Geschäftsführer der Vinothek Plangger stellt er persönlich vor. Es ist natürlich auch ein Grenzgänger, Michael Pixner, der Bruder des gefeierten Passeierer Musikers und Akkordeonisten Herbert Pixner.

Timmelsjoch Hochalpenstraße
GUT ZU WISSEN
Das Top Mountain Motorcycle Museum bei der Mautstation der Timmelsjoch-Hochalpenstraße ist nach einem verheerenden Brand 2021 in Rekordzeit neu gebaut worden und seither noch spannender und größer.
Alles Wissenswerte in einem eigenen Blog

 

Edith Hessenberger

Autorin: Edith Hessenberger

Die Ethnologin und Geografin leitet die Ötztaler Museen. Sie forscht und publiziert zudem als freie Kulturwissenschaftlerin zur Geschichte der Berglandwirtschaft, des Tourismus und des Alpinismus. Erzählforschung und Oral History sind weitere Schwerpunkte ihrer Arbeit.

Isolde v. Mersi

Gastautorin Isolde v. Mersi

Isolde von Mersi stammt aus dem Südtiroler Pustertal und lebt in Wien. Als Reporterin und Buchautorin erkundet sie für deutsche und österreichische Magazine und Verlage die kulturellen, kulinarischen und naturgeschichtlichen Schätze der Alpenländer und ihrer Bewohner.

Im Ötztal fühlt sie sich durch ihre Arbeit für das ÖTZTAL MAGAZIN seit vielen Jahren zuhause und unter ziemlich besten Freunden.

Dieser Artikel erschien ursprünglich im Juni 2023.